CHANCEN? von Sadomina

 

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Kommentar & Spoiler-Warnung: Diese Fic spielt nach dem Ende vom 2. Kapitel aus Band 13!

Das Schreiben dieser Geschichte war für mich eine Art Therapie, die mir über die düsteren Wochen nach dem 2. Kapitel von Band 13 helfen sollt. Meine ersten Gedanken, als ich von Izumis Tod erfahren hatte, in Worte und Wünsche gefasst...

Ich danke und knuddel meine liebe Beta-Leserin Jannett fürs Lesen, Antreiben und Motivieren!!!!!!*_*

 

 

 

 

Stille. Absolute Stille. Der dunkelhaarige Arzt ließ Koji keinen Moment aus den Augen und wartete vergebens auf eine andere Reaktion als dieses beängstigende Schweigen, dass sich nun schon über endlos erscheinende Minuten zog.

Die ohnehin sehr blasse Haut des blonden Sängers wirkte beinahe durchsichtig. Leere Augen stachen ausdruckslos aus dem fahlen Fleisch und verliehen Koji eine geisterhafte Erscheinung. Ein leichtes Zucken um die Mundwinkel deutete an, dass der sichtlich unter dem Schock der Nachricht stehende Mann nach Worten rang, die einfach keine passende Form fanden um über seine Lippen zu kommen. Nichts in der Welt konnte seinen Schmerz über die soeben erfahrene Botschaft in simple Sätze fassen. Nichts diese Trauer beschreiben, die Qualen von Selbstvorwürfe, die von Kojis Körper und Denken Besitz ergriffen.

Koji zitterte unter leichten Krämpfen, die ihn fast ohnmächtig zusammenbrechen ließen. Ein Teil von ihm versuchte sich mit aller Kraft dagegen wehren, die Wahrheit anzunehmen, während ein anderer seine Gedanken unweigerlich zurück zur Tatsache lenkte. Ein Albtraum, aus dem es scheinbar kein Erwachen gibt. Und ohne Ende wiederholten sich Hinas Worte in seinem Kopf und hämmerten sich tief in sein Seele: ‚Izumi beging Selbstmord.’

 

„Koji kun...“ versuchte Dr. Hina bereits zum dritten Mal Koji aus seiner Starre zu wecken. Doch seine Stimme prallte an Kojis Bewusstsein ab wie ein leise verklingendes Echo.

Als wäre er gefangen in einer Trance.

Auch Lulu, beobachtete die Szene von der Tür aus, an der sie sich Hilfe suchend anlehnte. Diese Totenstille, die sich ins Unendliche zog, erzeugte mehr Angst als wenn der junge Sänger in wilder Verzweiflung um sich schlagen und brüllen würde.

Ein kleiner Blutstropfen lief Koji ganz langsam aus dem Mundwinkel über das elfenbeinweiße Kinn und hinterließ seine rubinrote Spur.

Der Doktor und das Barmädchen tauschten einen flüchtigen, Sorgen erfüllten Blick ehe sie sich wieder Koji zuwandten. Hina griff sich einen Plastikbecher und füllte ihn mit etwas Wasser.

 

„Koji kun.“ begann er erneut und hielt dem Erstarrten die Erfrischung hin, „Hier, trinken Sie. Das soll Ihnen etwas helfen.“

Das Industrieweiß des banalen Plastikbechers lachte Koji spöttisch entgegen, als der Doktor ihn gut gemeint vor seiner Nase herumwedelte. Und diese kleine Geste holte den Geschockten aus seiner Starre. Mit einem Ruck fuhr Koji herum, schleuderte Hina den Becher aus der Hand und brüllte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Die Augen eines Psychopathen.

„HELFEN?!! WAS SOLL NOCH HELFEN?!!“ hallte Kojis Stimme so mächtig durch den engen Raum, dass alle Anwesenden einen Schritt zurück traten.

Obwohl der Doktor leicht rückwärts schwankte, blieb er doch standhaft und schritt sofort wieder dem großen Sänger entgegen.

„Sie verwirren mich ein wenig.“ wandte er sich wieder ruhig an Koji und hielt dem gleißenden Blick eines Wahnsinnigen stand. „Ich dachte nicht, dass Sie der Tod ihres Freundes noch erschüttern würde, wo Sie ihn doch freiwillig ‚aufgegeben’ haben.“ 

Vorsichtig, wie eine Schlange die ihr Opfer studierte, wartete der Arzt auf eine weitere Reaktion. Und die ließ nicht lange auf sich warten. Koji packte sich Hina brutal am Kragen.

 

„Mistkerl!!!“ zischte der blonde Sänger, „was wissen Sie schon?!“

Lulu, die alles aus ein paar Metern Sicherheitsabstand beobachtete, quiekte schrill auf, als Koji seine Hände um den Hals des Doktors schloss. Trotz des festen Drucks der Hina die Luft schnürte, blieb er immer noch locker und gefasst. Mit seinen großen dunklen Augen, die fast unschuldig wie die eines Kindes wirkten, blickte er Koji an.

 

„Wollen sie mich nun auch umbringen?“ keuchte er unter Kojis Würgegriff. „Das bringt Izumi kun auch nicht mehr zurück.“

Der Sänger erstarrte.

„Izumi….I..zu..mi…“ Der feste Griff lockerte sich, und ein hilfloses Zittern durchflutete nun seine vorhin noch kraftvolle Hand. Von Krämpfen geschüttelt sackte Koji zusammen und ließ sich von Dr. Hina stützen, der ihm sanft zu einem Sessel half.

Wie ferngesteuert nahm er nun endlich einen neuen Becher Wasser an und trank in kleinen Schlucken das erfrischende Nass. Es fiel im sichtlich schwer zu trinken, das meiste der Flüssigkeit lief ihm am bebenden Kinn herunter, doch das nahm Koji gar nicht richtig wahr. Auch nicht, dass Hina ihn vorsichtig mit einem Taschentuch trocken tupfte und tröstend über seinen Rücken strich.

Langsam ließen seine Krämpfe nach und Koji fand ganz leicht seine Fassung wieder. Er versuchte es zumindest. Zu seinem anfänglichen Schock über die Nachricht von Izumis Tod mischten sich nun die ersten Zweifel. Sein Hirn weigerte sich immer intensiver, den Worten des Doktors Glauben zu schenken. Es konnte einfach nicht wahr sein!!! Nicht sein Izumi!

 

Der junge Sänger nahm noch einen großen Schluck Wasser und wandte sich an Hina.

„Ich muss ihn sehen.“

Der Arzt schüttelte langsam seinen Kopf. „Ich sagte Ihnen doch, sie haben seinen Körper zurück nach Japan gebracht. So leid es mir tut, aber es ist nichts mehr zu machen.“

„Das ist nicht wahr!“ brauste Koji auf. „Es kann nicht sein. Nicht so. Nicht Izumi!“

Der Wahnsinn aus Kojis Augen war etwas gewichen und nun sprachen nur noch tiefste Verzweiflung und hilfloses Flehen aus ihnen.

„Doktor, ich bitte Sie. Sie müssen mir helfen! Ich muss ihn sehen!“ bettelte er. „Noch einmal... sehen.“ Seine Stimme versagte. Stumm flehend blickte er Hina an.

Der Arzt begegnete traurig seinem Blick und schüttelte noch einmal langsam seinen Kopf.

„Koji kun...“  begann dieser und blickt flüchtig zu Lulu. Das Mädchen verstand die stummen Worte von Hina, nickte und verließ lautlos den Raum.

„Der Schlussstrich, den Sie ziehen wollten, ist noch nicht gefestigt, oder?“ fragte der Doktor ruhig.

 

Der Angesprochene schloss krampfhaft seine Augen und drehte den Kopf zur Seite. Die Lippen zu einem dünnen Strich gepresst suchte er nach Worten.

„Sie verstehen das nicht. Sie KÖNNEN es nicht verstehen!“ zischte er.

„Dann lassen Sie es mich verstehen!“ bat der Doktor. „Sprechen Sie mit mir! Sagen Sie mir, warum Sie Ihrem Freund das angetan haben!“

„Wieso sollte ich Ihnen davon erzählen? Sie würden es sowieso nicht verstehen.“ gab Koji mit einem trockenen Lächeln als Antwort.

„Ich will Ihnen nur helfen.“ bohrte Hina nach. „Ich kann zwar nicht das Geschehene rückgängig machen, aber ich will versuchen, Sie zu verstehen. Wenn Sie darüber sprechen wird es viel leichter für Sie, glauben Sie mir.“

„Leichter! Hah!! Was wollen Sie hören? Warum ich ihn geschlagen und vergewaltigt habe? Ihn verlassen habe, genau als er mich am Stärksten brauchte? Warum ich mich danach wie ein feiges Arschloch verdrückt habe?“ fauchte Koji. „Das kann ich Ihnen gerne sagen, aber ich bin überzeugt, dass Sie es ohnehin wissen: Es ist einfach meine Art! Ich bin ein gefühlskalter, egoistischer Bastard!“

 

Hina hörte schweigend zu und nickte, während Koji fort fuhr, und es schien, dass er langsam aber sicher erneut seine Nerven verlor.

„Ich hatte es satt! Er war für mich doch nur noch ein Klotz an meinem Bein, so wie ich für ihn.“ Bei jedem Wort hämmerte Koji mit geballten Fäusten auf seine Knie.

„Ich sollte eine Stütze für ihn sein? Nie im Leben! Ich war ihm doch sowieso nur im Weg. Wer braucht schon einen wertlosen Kerl wie mich, der nicht einmal im Stande ist, dem Geliebten das zu geben, wonach er sich am meisten sehnte? Das zu geben, was er am meisten liebte?“

Nach einer kurzen Pause fuhr Koji fast flüsternd fort.

„Nicht einmal seinen wichtigsten Wunsch konnte ich ihm erfüllen. Ich habe versagt. Das einzig Richtige, dass ich noch tun konnte, war, ihm sein Leben zurück zu geben.“

 

„Sein Leben zurückgeben? Indem Sie ihn im Stich lassen??“ schritt Hina verblüfft ein.

Koji schüttelte bedächtig seinen Kopf.

„Ich wusste ja, dass Sie es nicht verstehen.“

„Ich verstehe nicht, dass Sie Izumi kun helfen wollten indem Sie ihn wie eine schlechte Erinnerung auslöschen wollten.“

„Ohne mich hätte Izumi noch eine Chance gehabt weiterzumachen. Ich war ihm dabei nur im Weg. Stand nutzlos neben ihm, während er vor meinen Augen immer weiter an den Qualen zerbrach, für die ich im Grunde verantwortlich bin!“ schluchzte Koji beinahe.

„Verantwortlich? Für seine Lähmung?“

„Für alles. Seit ich in sein Leben geplatzt bin hab ich ihm nur Unglück und Schmerzen zugefügt. Ihm in kleinen Schritten alles genommen was er liebte.“

Verzweifelt versenkte er das Gesicht in seinen Händen.

„I..ich wollte doch alles für ihn tun...alles...d..doch am Ende tat ich nichts für ihn, sondern... nur für mich.“

 

Kojis Körper zuckte unter Krämpfen, doch es kamen keine erlösenden Tränen. Vor seinen geschlossenen Augen sah er Izumi, der ihn hilflos fragend anblickte. Seine Lippen formten immer wieder die Worte, die sich tief in Kojis Seele gebrannt hatten. Die Frage, seine letzte Bitte, mit ihm Eins zu werden. Für immer gemeinsam zu verschmelzen. Wie Diamanten funkelten die einst feurigen Augen seines Geliebten unter seinen zu lange angestauten Tränen. Koji fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Könnte er sich doch nur dem Schwarz der Unendlichkeit hingeben, sich fallen lassen und alles vergessen. Ein ewiger Schlaf aus dem es kein Erwachen gab. Doch die kalte Realität griff mit eisigen Klauen nach ihm und gönnte ihm kein Entkommen.

Doktor Hina fasste Koji hart am Handgelenk, und versuchte ihn davon abzuhalten, sich noch länger die scharfen Fingernägel in die leicht verletzbare Haut seines Gesichtes zu bohren.

 

„Koji kun, es bringt nichts wenn Sie sich hinter Selbstmitleid und Schuldgefühlen verstecken.“ versuchte Hina dem Verzweifelten zu zureden.

„Selbstmitleid!“ Koji lachte gequält auf. „Ja, sogar jetzt denke ich nur an mich! An das, was ICH nun fühle! MEINEN Schmerz! Und ich wollte Izumi glücklich machen? Wo ich doch immer nur an MICH dachte? Ein Egoist wie ich...Takuto hatte Besseres verdient.“

„Nein, Koji kun, sobald Sie sagen, dass er Besseres verdient hätte, ist es kein egoistischer Gedanke. Sie sorgten sich um SEIN Glück. Der starke Wille, alles für den zu tun, den man liebt, ist kein Egoismus.“

„Starker Wille ist nicht genug.“ seufzte Koji verbittert. „Ich konnte ihm nie das geben, was er am meisten liebte. Nie die Erfüllung, die er aus dem Fußball schöpfte. Egal wie sehr ich ihn mit Liebe überschüttete oder ihn sogar mit Gewalt zwang, glücklich zu sein. Ich wollte, dass er glücklich ist – durch MICH, durch das, was ICH für ihn tat, durch MEINE Liebe!!“

„Und nun dachten Sie, wenn Sie nicht einmal das schaffen, wäre Izumi kun besser dran ohne Sie?“ hakte Hina ganz ruhig nach. Mit einem milden Lächeln setzte er hinzu„Das ist für mich wieder nur ein Beweis dafür, dass Sie sehr wohl in erster Linie an Ihren Freund dachten.“

„Was bringen Beweise und Theorien? Ich konnte ihn nicht glücklich machen. Meine Liebe war zu schwach. Einzig und alleine der Fußball gab ihm alles, was er brauchte.“ Kojis heisere Stimme erstickte beinahe. Er nahm einen kleinen Schluck Wasser und sprach weiter. Seine Augen ausdruckslos in den weißen Becher starrend.

„Ich konnte nichts tun um ihm seine Beine wieder zugeben. Und auch nichts, um sein verlorenes Glück zu ersetzen.“

„Nicht der Verlust vom Fußball trieb Izumi kun in den Freitod. Erst als er Sie verloren hatte, entschied er sich für den allerletzten Schritt.“ entgegnete der Arzt. „Sie waren Alles für ihn.“

 

Koji brachte ein leises, trockenes Lachen hervor, das sich eher an ein Schluchzen erinnerte. Genau das drückte auch aus, was er fühlte. Er wollte gleichzeitig lachen und weinen. Aber noch mehr sehnte er sich nach der Ruhe, die ihn alles vergessen lassen konnte. Die Ruhe, die ihren schwarzen Mantel über ihn ausbreiten würde, um seine Schmerzen für immer darunter zu ersticken. Verzweifelt und dem Wahnsinn nahe, presste Koji die Augen fest zusammen und legte seinen Kopf in den Nacken.

 

„Nein. Das war ich niemals und konnte es niemals werden. Izumi lebte für den Fußball. Nur dafür wurde er geboren. Und ich nahm ihm alles weg, um ihn völlig für mich zu haben. Ihn zu besitzen. Ich hätte ihn eher zerstört, als ihn dem zu überlassen, was ihm das größte Glück verschaffte!“ Kojis Stimme wurde immer brüchiger. „Das hab ich am Ende auch geschafft.“ fügte er mit einem verbitternden Lachen hinzu.

 

„Wieso erzähle ich Ihnen das überhaupt alles?“ fragte Koji leise.

„Weil es gut tut, mit jemandem zu sprechen.“ antwortete Hina. „Sie haben so Vieles für zu lange Zeit schweigend in sich mitgeschleppt. Die meisten Beziehungen scheitern daran, dass zu wenig miteinander gesprochen wird. Sie und Izumi kun hätten sich aussprechen müssen.“

Nach einer kurzen Pause fuhr er fort, „Statt mit ihm zu reden, wollten Sie Ihren Problemen davonlaufen. Sie haben ihn aus Ihren Gedanken gestrichen, wollten vergessen, anstatt sich ihm zu stellen! “

„Das ist nicht wahr!“ schritt Koji energisch ein. „Es..es war das Beste so. Irgendwann hätte er es verstanden! Er hätte wieder Leben können und glücklich werden!“

„Sie hätten es sicherlich nie erfahren. Sie hätten ja nun ein neues Leben ohne die störenden Erinnerungen an eine aussichtslose Liebe.“

Koji starrte stumm auf den Bodenbelag. Scheußliches Muster.

„Ist doch so, oder?“ bohrte Hina nach. „Sie hatten nicht mehr vor, irgendwann zurück zukehren. Ihr Entschluss war doch endgültig, oder nicht?“

 

Der blonde Sänger saß zusammengesunken auf seinem Sessel und wirkte wie ein hilfloses Kind. Krampfhaft rang er nach Worten.

„Ich...ich...“ er schluckte hart ehe er fort fuhr. „Ich weiß es nicht. Ich...“

Bedrückende Stille beherrschte den Raum. Nur das leise, hypnotisierende Ticken einer Uhr hämmerte durch das Zimmer.

Nach einer Ewigkeit beendete Koji seine begonnene Antwort.

 

„Ich glaube nicht. Nicht, nachdem was ich Izumi angetan habe. Nachdem, was ich ihm gesagt habe und ihn auf brutalste Art verletzte. Sein Herz in meinen schmutzigen Händen zerquetschte.“

Zitternd hob Koji seine Hände und vergrub sein Gesicht darin.

„Es gab kein Zurück mehr für mich. Kein Zurück...nie mehr wieder!!!“ schluchzte der gebrochene Mann. „Takuto...Ta..ku..to..........“ Unaufhaltsam brachen die Tränen heraus, die der erste Schock so lange zurück gedrängt hatte.

 

Doktor Hina seufzte kaum merklich und betrachtete mitleidig den gebrochenen Mann neben sich. Der einst so strahlende, selbstsichere Popstar war nur noch ein Schatten seiner selbst.

Es war für Hina nichts Neues. Viel zu oft musste er Angehörigen seiner Patienten tragische Nachrichten überbringen. Da musste man einfach durch. Es gehörte zu seinem Beruf wie der pralle Lohnzettel am Ende des Monats. Sicherlich hinterließen Fälle wie dieser traurige Erinnerungen, aber mit der Zeit verblassen die bitteren Tränen, die ungläubigen Blicke und die Verzweiflung, wie die Seiten eines Tagebuches. Und trotzdem. Dieser Fall war anderes. Der Kummer des Jüngeren brannte sich schmerzhaft in Hinas Herz.

 

Der Doktor erhob sich und ging zu seinem Tisch. Dort kramte er etwas aus seiner Tasche. Koji der inzwischen immer heftiger unter Weinkrämpfen geschüttelt am Sessel saß, bemerkte nichts von dem, was Hina für ihn vorbereitete. Schließlich kam der Arzt wieder zu ihm und hielt ihm ein breites Glas entgegen. Eine sanfte Hand auf der Schulter, leise Worte und der scharfe Geruch von Bourbon holte den weinenden Mann langsam wieder aus seiner endlosen Trauer zurück.

„Trinken Sie das.“ forderte ihn der Arzt auf.

Wie betäubt nahm Koji das Glas und trank die ihm angebotene Flüssigkeit. Der Alkohol brannte wie Feuer in Kojis ausgetrockneten Hals und sendete sofort seine glühende Hitze durch den Körper. Erschöpft lehnte der trauernde Mann sich wieder im Sessel zurück, den Kopf in den Nacken gelegt. Koji fühlte, wie ihn das scharfe Getränk immer weiter ausfüllte, wie die Wärme ihn durchströmte und ihn langsam beruhigte. So gut. Diese Ruhe. Gedanken, die verstummen. Tränen, die versiegen. Angenehme Stille. Vergessen. Vor Kojis Augen wurde es schwarz. Innerhalb wenigen Minuten fiel er in die tröstenden Arme eines tiefen Schlafes. Das starke Beruhigungsmittel in Kombination mit hartem Alkohol zeigte seine Wirkung.

 

Doktor Hina verließ für einen Augenblick den Raum, um mit Lulu wieder zukommen, die die ganze Zeit über geduldig, und mit ausreichenden Zigaretten, vor der Wohnung wartete. Gemeinsam brachten sie den Schlafenden auf einem, leider viel zu kleinen, Sofa zum Liegen.

Der Arzt wechselte in das Nebenzimmer und setzte sich zum Schreibtisch. Nach kurzem Zögern wählte er eine, von ihm in letzter Zeit sehr oft benutzte Telefonnummer.

Wenige Minuten später ließ er, aufgewühlt von dem Gespräch, den Hörer sinken und starrte verzweifelt aus dem Fenster. Das erste Mal seit langem wusste der erfolgreiche Doktor nicht, was er tun sollte.

 

 

 

--

Rasend, wie ein wildes Tier, kämpfte sich Koji seinen Weg durch die erstaunte Menge. Schlug um sich, schüttelte verbissen alle ab, die vergeblich versuchten, den starken, ehemaligen Kendo-Meister, aufzuhalten. Ein Raunen und empörtes Flüstern ertönte aus der Trauergemeinschaft, doch Koji war durch Nichts und Niemanden zu stoppen.

Schließlich war er am Ende seines Zieles. Das Weiß des schlichten Sarges strahlte fast unwirklich. Als käme ein überirdisches Leuchten direkt aus seinem Inneren und tauchte den ganzen Raum in gleißendes Licht. Koji beugte sich vor. Etwas in ihm wollte ihn noch zurückhalten, doch der andere Impuls war um so vieles stärker. Er musste es wissen! Es konnte doch einfach nicht wahr sein! Takuto konnte nicht tot sein! Nicht er! Nicht sein Ein und Alles!!!

Die Augen weit aufgerissen, starrte Koji in das stumme Abbild seines Geliebten. Er schien, als würde er nur schlafen. So ruhig und friedlich. Seine weichen Lippen leicht geöffnet und entspannt, als würde er nur auf Kojis Kuss warten, der ihn zärtlich wecken sollte. Die schwarzen, einst widerspenstigen Haare - nun ordentlich gekämmt - umrahmten sein zerbrechlich wirkendes Gesicht. Ein harter Kontrast. Izumis sonnengebräunte Haut leuchtete nun fahl, fast durchsichtig.

 

/Nein, Nein! Das ist nicht mein Izumi!/ schossen Kojis Gedanken wild durcheinander.

 

/NEIN!!! Ich weiß nicht, WER das ist, aber es ist NICHT IZUMI!!!!!!/

 

Kojis Fingernägel gruben sich schmerzhaft in das weiß lackierte Holz des Sarges, an das sich der Trauernde klammerte, als wäre es sein letzter Halt. Mit aller Kraft versuchte er sein Hirn zu beruhigen, dass angefüllt mit unzähligen Bildern von Izumi zu explodieren drohte.

 

„ER IST ES NICHT!!!!!!!!!!!!“ brüllte Koji mit überschlagender, schriller Stimme und riss mit einem mächtigen Schwung den unteren Teil des Sargdeckels nach oben. Die versammelten Trauergäste schrien entsetzt auf, doch niemand wagte es einzuschreiten. Es ging auch alles viel zu schnell. Koji griff in den Sarg und fetzte wie ein Wahnsinniger dem leblosen Körper die letzte Bekleidung herunter.

 

/Die Narbe. Wo ist seine Narbe?! Kann sie nicht finden!/

 

Koji nahm den halbnackten Leib aus seinem letzten Bett heraus und suchte wie vom Teufel besessen nach Beweisen.

 

/Nicht Izumi. Kann nicht sein. Die Narbe. Wo ist die Narbe?!/

 

Er suchte und suchte. Die Zeit schien in einer unendlichen Schleife fest zuhängen. Das ganze Umfeld weit entrückt, hörte Koji weder die panischen und empörten Rufe der Menschenmenge, noch seinen treuen Freund Katsumi, der ihn heftig am Arm packte und immer wieder seinen Namen rief.

 

„Nicht...Izumi. Keine...Narbe.“

Koji brach über dem kalten, unschuldigen Körper zusammen und wiederholte seine Worte wie ein Mantra.

 

 

 

-- 

„Nicht...Izumi. Keine...Narbe.“

 

„Wieder wach?“ hörte Koji eine vertraute Stimme die Leere um ihn durchbrechen.

Seine Augenlider versuchten sich wie auf Befehl zu bewegen, aber es war zu schwer. Sie lagen wie Blei auf den Augen.

„W..as....?“ Koji versuchte zu sprechen, doch seine trockene Kehle verweigerte den Dienst.

„Schon gut. Hier ist etwas Wasser.“

Etwas Kühles drückte leicht Kojis Lippen entgegen. Ohne die Augen zu öffnen, griff er nach dem angebotenen Wasser und trank in vorsichtigen, schwachen Schlucken. Für einen kurzen Moment schrie sein schmerzender, ausgetrockneter Hals auf, doch das erfrischende Nass breitete sich sofort wie Balsam in ihm aus. Endlich öffnete Koji seine Lider und blickte, wie durch einen grauen Nebelschleier, in warme, dunkle Augen, die ihm sanft und beruhigend entgegenstrahlten. Nur unscharf konnte Koji das Gesicht seines Gegenübers erkennen. Schwarze Strähnen bedeckten verspielt die Stirn, weiche, wohlgeformte Wangen, und diese wunderschönen, fast schwarzen Augen.

 

„I...zumi!“

 

Eine Hand strich Koji zärtlich durch das kurze Haar.

„IZUMI!!!“ Koji riss seine Augen weit auf und starrte Dr. Hina an, der seinen Blick mit einem traurigen Lächeln erwiderte.

„Sie haben geträumt, Koji kun.“ bestätigte der Arzt die nun wieder eingetretene Realität.

„Dann ist es also wahr. Izumi ist...?“ fragte Koji mit kaum hörbarer Stimme.

Dr. Hina nickte leicht und drückte die Hand des Jüngeren.

Koji schloss für einen kurzen Moment die Augen und schwieg.

Nach einer Weile erhob er sich, als wäre nichts geschehen und nahm sich seine Jacke, die noch immer über dem Sessel hing.

 

„Was haben Sie vor?“ fragte Hina, völlig verwundert von der plötzlichen Kälte, die den großen jungen Mann wie eine eisige Aura umgab.

Koji ging zur Tür, drückte den Griff und wandte sich gelassen, mit ausdruckslosem Blick, an den Doktor.

 

„Sie sagten, dass sie ihn nach Japan zurück brachten?“

 

Im Grunde hatte Koji nicht vorgehabt, eine erneute Bestätigung abzuwarten, und wollte soeben den Raum verlassen, doch Hina war bereits aufgesprungen und hielt den viel größeren , und vor allem viel stärkeren Mann am Handgelenk fest. Insgeheim verdammte er sich, Lulu nach Hause geschickt zu haben, doch das Mädchen konnte ihm bei dieser Sache wohl auch nicht sehr von Nutzen sein. Aber zumindest hätte sie Hilfe holen können, falls Nanjo ausrasten würde. Seinem eiskalten Blick nach, der dem eines wahnsinnigen Psychopathen erschreckend nahe kam, musste Hina nun mit allem rechnen, wenn er sich ihm in den Weg stellen wollte. Und genau das hatte er vor. Koji Nanjo um jeden Preis zu stoppen. Er musste ihn aufhalten, ehe das Schlimmste passieren konnte. Dieser Mann war zu allem fähig. Getrieben von Wahnsinn und die verzehrende Trauer seiner Liebe.

 

„Koji kun! Wo wollen Sie hin?“ fragte Hina ruhig.

„Ich werde Izumi noch einmal sehen. Und wenn es das letzte ist, was ich tue.“ erklärte Koji mit monotoner Stimme.

„Sie werden überall gesucht. Sie können nicht einfach am Flughafen auftauchen und sich in die nächste Maschine setzen!“ konterte der Arzt nun energischer.

 

Kojis Zähne blitzten weiß unter einem verzerrten Grinsen auf, seine Augen weiterhin ohne Regung.

„Dank Ihrer Hilfe wird es mir viel leichter fallen, am Flughafen nicht zu scheitern.“ Mit einer flüchtigen Bewegung klopfte er auf seine neue Prothese.

„Und einen neuen Pass zu bekommen ist hier in Amerika sicher ein geringeres Problem als Nachts durch den Central Park zu spazieren.“

„Nanjo san, ich bitte Sie, vergessen Sie Ihr Vorhaben! Es bringt nichts! Sie können es nicht mehr ändern! Verstehen Sie das doch, verdammt noch mal!!!“

„Vergessen? Izumi? Ich kann ihn nicht vergessen!!!!!!!!!“ zischte Koji laut und schüttelte Hinas Hand von seinem Handgelenk als wäre es ein lästiges Insekt.

Nun erhob auch Hina seine Stimme.

„Wissen Sie nicht mehr, dass SIE derjenige war, der Izumi zurückgelassen hat und vergessen wollte? Sie hätten ihn vergessen, wären mit neuer Identität untergetaucht und wollten keinen Gedanken mehr an den lästigen Krüppel, der nur noch seinen Erinnerungen am Fußballfeld nachtrauerte, verschwenden!!“

Wie ein flammender Speer durchbohrte Kojis Blick den Arzt, doch dieser ließ nicht locker.

„Wenn ich Sie nicht durch Zufall in dieser stinkenden Kneipe getroffen hätte und Sie über den Selbstmord Ihres Freundes aufgeklärt hätte, dann würden Sie doch keinen lausigen Gedanken mehr an Izumi kun verschwenden!! Für Sie ist er doch bereits gestorben als sie Ihren gefühlskalten Arsch zur Tür rausdrehten um ein neues Leben zu beginnen, ohne sich den Schwierigkeiten einer ernsthaften Beziehung stellen zu müssen!!!!!!“

 

Versteinert nahm Koji die harten, aber wahren Worte Hinas auf. Die klirrende Kälte seiner Augen wechselte wieder zur Hilflosigkeit eines unschuldigen Kindes.

„Sagen Sie mir doch, was ich tun soll!“ flehte er fast flüsternd. „Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß es nicht!!“

Ohne Widerspruch ließ Koji sich von Dr. Hina zurück zur Couch führen, auf der sie beide Platz nahmen.

 

Schweigend saßen sie da und starrten Löcher in den Boden, als würden sie dort nach den Wörter suchen, die ihnen Antworten und Hilfe schenken könnten.

Schließlich brach Dr. Hina die beklemmende Stille.

 

„Koji kun. Ich will Sie nicht anklagen und beschuldigen, oder Ihnen Ihr Leben vorschreiben. Dazu bin ich weder im Stande noch befähigt. Ich will Ihnen nur helfen.“

„Dann lassen Sie mich Izumi sehen. Ich...ich will ihn...zumindest noch einmal still um Verzeihung bitten...Ich weiß dass er mir nicht mehr verzeihen kann. Auch nicht, wenn er noch...wenn er noch...am Leben wäre.“ zitternd beendete Koji seine Bitte und wagte es nicht, Hina in die Augen zu blicken.

Der Doktor atmete tief ein, sog all die Kraft aus der Luft ein, die er brauchte.

„Sie glauben, Izumi kun würde Ihnen nicht verzeihen? Wie können Sie sich dessen so sicher sein, Sie hatten sich beide bestimmt nie richtig ausgesprochen. Dem wichtigsten Gespräch sind Sie entflohen. Gerade in dieser schweren Phase wäre es das allerwichtigste gewesen, mit ihm über alles zu sprechen.“

„Oh Gott, ich würde alles tun um das, was ich getan habe, rückgängig zu machen. Alles.“

 

„Koji kun...“ begann Hina leise, „wenn sie die Chance hätten, noch einmal mit Izumi zu reden...glauben Sie, Ihre Beziehung noch retten zu können? Würde Sie sie retten wollen?“

„Ich fürchte, ich könnte es nicht.“ gab Koji traurig zur Antwort.

„Ich würde immer und immer wieder alles versuchen um Izumi glücklich zu machen. Aber am Ende würde ich wieder scheitern. Ich bin nicht fähig, ihn wirklich zu lieben. Egal wie oft ich mir und ihm einredete, dass ich ihn mehr als alles liebe, ich konnte ihn nicht glücklich machen. Und trotzdem... ich würde ohne zu Zögern mein Leben opfern, um ihm das Glück zu schenken, das er verdient! “

„Und Sie glauben, das würde ihn glücklich machen?“ fragte Hina trocken schmunzelnd. „Nein, Koji kun, wenn Sie ihm Ihr Leben schenken wollen, dann leben Sie für ihn und schmeißen es nicht weg, im irren Glauben, ihm damit zu helfen!“

„Verdammt!!!!! Sie reden fast so, als ob das alles noch Sinn machen würde! Als ob es noch Chancen gäbe!“ zischte Koji aufgewühlt.

 

„Die gibt es noch...“ flüsterte Hina und begann, sich innerlich zu verfluchen.

Der blonde Sänger starrte ihn fassungslos an. Eine stumme Frage in seinen Augen, vermischt mit Zorn, im Glauben, der andere würde ihm eiskalt auf der Seele herum trampeln.

„Izumi kun ist noch am Leben.“

 

„D-dann war das alles eine dreckige Lüge?!!“kam es Koji ungläubig von den Lippen. In seinem Kopf rotierten die Gedanken und es war ein Ding der Unmöglichkeit, das soeben Erfahrene richtig einzuordnen und nach Richtigkeit abzuschätzen.

„Nicht alles. Das mit dem Selbstmord ist leider wahr.“ gestand der Doktor. „Izumi kun wollte mit dem Messer Schluss machen. Er hat sehr viel Blut verloren und es grenzt an ein Wunder, dass er noch zu retten war.“

 

Wie ein tollwütiges Tier fuhr Koji auf und zog den Arzt zu sich hoch.

„WO IST ER??!!“brüllte er ihm ins erschrockene Gesicht.

„Nanjo san. Ich werde Ihnen alles Weitere erklären. Aber bitte bleiben Sie um Himmels Willen ruhig!“ wehrte sich der Kleinere.

Koji ließ ihn augenblicklich los, doch mit seinem durchdringender Blick bohrte er sich tief in den Doktor und hielt ihn weiterhin gefangen. Beide nahmen wieder Platz. Im engen Raum lag eine elektrisierende Spannung wie kurz vor einem Sommergewitter.

 

„Hören Sie zu: Man hat Izumi in ein anderes Krankenhaus gebracht. Er bekommt psychiatrische Betreuung von den besten Spezialisten hier im Land. Shibuya san hat für alles gesorgt und ausdrücklich geordert, niemandem zu ihm zu lassen.“ Mit einer nervösen Handbewegung rückte sich Hina seine Brille zurecht ehe er leise weiter sprach. „Vor allem nicht Sie.“

Koji presste seine Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und nickte leicht.

„Ich weiß nicht, warum ich für Sie meine Arztkarriere aufs Spiel setze, aber ich kann nicht anders.“ erklärte Dr. Hina ganz offen. „Shibuya san will auf jeden Fall verhindern, dass Sie Ihrem Freund noch mehr Kummer bereiten. Ich musste ihm versprechen, zu Schweigen. Sie im Glauben von Izumis Tod zu lassen. Er meinte, es wäre das beste für Izumi kun, Sie zu vergessen, auch wenn es ein langer, schmerzvoller Weg für ihn wäre.“

Schweigend hörte Koji dem Doktor zu. Wie durch ein Wunder verstand er ganz genau was Hina ihm erklärte, denn seine Gedanken drehten sich fast ausschließlich um Izumi. Das Herz in seiner Brust raste, als wäre es kurz vorm Zerspringen, klopfte ihm bis in den Hals.

„Ich mag Sie und Ihren Freund. Kein anderer zeigte jemals soviel Kampfgeist trotz seiner irrreparablen Behinderung, wie Izumi kun. Soviel Kraft und der starke Wille zum Überleben! Und er hat die Chance alles zu Überwinden, auch wenn sein Traum vom Fußball für immer Vergangenheit bleiben wird.“

Nach einer kurzen Pause fuhr er fort. 

„Doch er wird es nicht völlig alleine schaffen, er braucht Sie an seiner Seite. Deshalb kann ich Shibuya sans gut gemeinte Lüge nicht länger unterstützen, auch wenn es meinen Job kosten wird. Verstehen Sie Shibuya san nicht falsch, er handelt nach bestem Gewissen und ich kann ihm gut in seinen Absichten folgen. Er kann einfach nicht zulassen, dass Sie Izumi kun noch einmal so sehr verletzen. Er würde es diesmal höchstwahrscheinlich nicht mehr überleben. Aber ich glaube fest daran, dass Sie es nicht mehr so weit kommen lassen werden, hab ich echt, Koji kun?“

Koji nickte. Mit zitternder Stimme versprach er „I..ich will alles tun...alles. Ich will für Takuto da sein. Für immer. Ich liebe ihn doch so sehr! Mehr als alles!!“ Mit flehenden Augen blickte er Hina an. „Bitte, bringen Sie mich zu ihm. Ich muss zu ihm.“

Der Doktor drückte sanft die Hand des Jüngeren. „Ich werde vorher noch mit Shibuya san sprechen und Izumi kun vorbereiten. Es wird sicherlich nicht sehr leicht für ihn.“

„Er wird mich verachten. Wird mir kein Wort glauben.“ seufzte Koji traurig.

„Wenn Sie ihn lieben, müssen Sie da durch.“ lächelte Hina freundlich. „Sie beide sind sehr stark. Sie werden es schaffen!“

 

 

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/Wir werden es schaffen!/ versuchte Koji sich ständig in Erinnerung zu rufen, als er auf Katsumi wartete, der jeden Moment aus Izumis Zimmer kommen müsste. Doch die Angst vor dem Wiedersehen saß zu tief. Die wenigen Tage, die seit dem klärenden Gespräch mit Dr. Hina vergangen waren, waren alles andere als leicht für Koji. Ohne zur Ruhe zu kommen ging er im Gedanken jedes Wort durch, dass er zu Izumi sagen wollte. Versuchte krampfhaft Erklärungen zu finden – überhaupt, einen Anfang zu finden, um auf seinen Geliebten zu zugehen. Koji konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte mal etwas gegessen hatte. Wann er zuletzt geschlafen hatte. Seinem Aussehen nach waren beide Punkte nicht erfüllt. Mehr als sich über ein Wiedersehen zu freuen, und über die Tatsache, dass Izumi noch am Leben war, überwog die panische Angst in ihm.

 

/Er wird mich verachten. Mich den Lügner nennen, der ich auch bin./

 

Kojis Kopf war mit einem Schlag leer, als ihn das Klicken von Izumis Zimmertür aus seinen quälenden Gedanken riss. Katsumi kam auf ihn zu, noch immer erfüllt von Wut und Misstrauen. Sie hatten sich zwar in mehreren langen Gesprächen ausgesprochen – erst gemeinsam mit Dr. Hina und anschließend alleine - doch Koji spürte, dass sein Freund ihm nicht wirklich traute. Was auch nur zu verständlich war, nachdem was er ihnen allen angetan hatte. Koji strich gedankenverloren über die blauviolette Schwellung unter seinem linken Auge. Eine kleine Aufmerksamkeit seines besten Freundes, der ihn bei ihrem Wiedersehen ohne lange Worte herzlich begrüßte...

 

„Er wartet.“ informierte Katsumi. In seinen Worten lag Unruhe, und trotz allem war eine Spur von Mitleid zu erahnen.

Koji nickte und bewegte sich langsam zur Tür.

„Koji.“ rief ihn sein Freund noch einen Moment zurück. Ganz ruhig, aber mit tödlichem Ernst gab er Koji noch etwas auf den Weg, dass diesen kurz zusammenzucken ließ. Diesen Blick hatte er nie zuvor bei Katsumi gesehen. Durchdringend kalt, und doch flehend. „Bitte, tu ihm nicht weh. Ich schwöre dir, ich bringe dich um – egal ob es mein Leben kostet!“

Koji senkte seinen Kopf und setzte seinen Weg fort. Mit zitternden Händen drückte er den Türknauf. Er blieb stehen. Seine Beine, schwer wie Blei, versuchten ihn zurückzuhalten. Die Angst in ihm schnürte ihm den Atem. Das Herz hämmerte wild in seinem Körper, er konnte fühlen, wie sein rasendes Blut heiß in den Adern pulsierte. Für einen Moment schloss er die Augen.

 

/Wir werden es schaffen! Ich werde es schaffen! Ich werde nicht noch einmal meinen feigen Schwanz einziehen und davon laufen!/

 

Koji atmete tief ein, erhoffte sich einen Schub der nötigen Kraft für den nächsten, entscheidenden Schritt, der klaffend wie eine tiefe Schlucht vor ihm lag.

 

Wie von Geisterhand bewegt, schloss sich die kalte Krankenzimmertür hinter Koji. Er hatte den schweren Schritt geschafft. Doch diese kleine Erleichterung ließ sein Herz noch nicht zur Ruhe kommen. Im Gegenteil. Es überschlug sich nun noch mehr. In der Stille des Zimmers konnte er es laut gegen seine Brust pochen hören.

 

Wenige Meter von Koji entfernt lag Izumi. Sein schwarzes Haar stach einsam aus dem endlosen Weiß hervor, in das man ihn gebettet hatte. Ganz langsam ging Koji mit merkbar unsicheren Schritten auf ihn zu und blieb an seinem Fußende stehen. Izumis Anblick brachte ihn beinahe zum Fallen. Wie klein er in diesem sterilen, weiten Krankenbett wirkte. Seine Wangen waren blass und ließen die großen, dunklen Augen wie unendlich tiefe Brunnen wirken, aus welchen das letzte Wasser schon vor langer Zeit versiegt war. Doch als sie Koji anblickten, schien es für einen kurzen Moment, dass sie schwach funkelten.

Koji konnte diesen Blick kaum erwidern, aber er war auch nicht im Stande sein Gesicht von ihm abzuwenden. Er fühlte, wie sich Tränen in ihm sammelten, spürte sein Zittern, doch er war machtlos dagegen. Er hatte keine Kontrolle mehr über seine Gefühle und Gedanken. Schweigend stand er nach so langer Zeit und den schlimmsten Qualen vor seinem Geliebten und brachte kein Wort über seine bebenden Lippen.

Izumi war es, der die Stille zwischen ihnen brach.

 

„Dein Haare… Du hast sie abgeschnitten.“

 

Diese schlichten, kaum hörbar geflüsterten Worte Izumis gaben Koji einen fast tödlichen Stich. Er konnte seine Tränen nicht länger aufhalten, die nun langsam und heiß über seine Wangen liefen.

Izumi lächelte schwach und hob eine Hand unter der Decke hervor.

„Koji?“

Vorsichtig streckte er Koji seine Hand entgegen. Ohne länger zu Zögern ging der Angesprochene näher, griff nach ihm und klammerte sich daran als wäre es sein letzter Halt vor dem Untergang.

„Takuto.“ hauchte Koji mit tränenerstickter Stimme während er neben dem Krankenbett auf die Knie sank, Izumis Finger noch immer fest umschlungen. „Takuto!“ zitternd führte er die Hand des Geliebten an seine Lippen und wiederholte immer wieder dessen Namen.

„Koji,“ begann Izumi leise, „es tut mir leid.“ Sein Blick traf Kojis fragende Augen.

„Es war alles meine Schuld.“ fuhr er fort.

„Izumi! Was redest du da?“ schritt Koji fassungslos ein.

„Ich dachte immer nur an mich, meinen Fußball, meine Freiheit, meine Gefühle, meine Qualen,…du hattest vielleicht Recht als du sagtest, dass ich dich nur ausnutze.“

„Izumi! Hör auf! Hör auf so etwas zu sagen!“ versuchte Koji seinen Freund zu stoppen.

„Nein, lass mich ausreden. Ich hab in letzter Zeit sehr viel nachgedacht. Über das, was geschehen ist. Über das, was mit uns geschehen ist... Und ich weiß, dass ich viele Fehler gemacht habe. Dass du mich satt hattest, war allein meine Schuld. Immer nur warst du derjenige, der alles gab, ohne etwas dafür zu bekommen.“

„Bitte, Izumi, sag das nicht. Du hast keine Schuld!“ bat Koji und erhob sich. Noch immer hielt er Izumis Hand umklammert. Vorsichtig setzte er sich an den Bettrand und streichelte die kühlen Finger seines Freundes.

„Du hattest niemals Schuld. Ich war es doch, der dir all den Kummer erst bereitet hatte! Ich bin Schuld an allem was dir widerfahren ist! Ich bin Schuld, dass mein verhasster Bruder dir dein größtes Glück zerstörte! Und du willst das alles auf dich nehmen?! Versuchtest mich sogar in Schutz zu nehmen, indem du vor mir verschweigen wolltest, wer hinter dem Lenkrad gesessen hatte!“

„Vielleicht hatten wir beide Schuld. Vielleicht war es uns einfach nicht bestimmt, glücklich zu werden. Miteinander glücklich zu werden.“ meinte Izumi traurig.

„Willst du das glauben?“ fragte Koji leise und fürchtete sich vor der Antwort.

Izumi schüttelte ganz leicht seinen Kopf und erwiderte Kojis Händedruck.

„Nein.“

Kojis Herz machte einen Sprung als ihn für den Bruchteil einer Sekunde das gewohnte Funkeln in Izumis Augen blendete, als dieser ihm antwortete. Das selbe kraftvolle Leuchten, das Kojis Blut zum Kochen brachte, als er es das erste Mal in seinem Leben sah.

„Glaubst du...dass noch eine Chance für uns besteht?“ fragte Koji schüchtern.

„Ich weiß es nicht, Koji.“ seufzte Izumi. „Es ist soviel passiert. Soviel, was sich nicht mehr ändern lässt und nicht einfach mit einem Neuanfang auszulöschen ist.“

Koji nickte schweigend und senkte seinen Blick um neue Tränen zu verbergen.

„Glaubst du daran?“ kam zögernd Izumis Gegenfrage.

„Ich weiß nicht was ich glauben soll oder will. Ich weiß nur, dass ich das, was ich dir angetan habe, nie wieder gutmachen kann, egal wie sehr ich es mir auch wünsche. Dass du mir kein Vertrauen mehr schenken kannst, ist mir klar. Das habe ich für immer verspielt.“ Koji hob seine Hand gemeinsam mit Izumis zu seinem Herzen hoch und drückte sanft dagegen. „Auch wenn du mir vielleicht nie mehr glauben wirst: ich schwöre dir, es tut mir so unendlich leid. Und bei meinem Leben schwöre ich dir, ich werde dich nie wieder verletzen. Ich werde dich nie wieder verlassen!!“

Izumi schloss für einen kurzen Moment seine Augen und genoss die Wärme von Kojis Hand, fühlte seinen Herzschlag als wäre es sein eigener.

„Koji, sag mir Eines. Als du mich verlassen hast, hast du mich da noch geliebt?“

„Keine Sekunde hab ich aufgehört dich zu lieben.“

Sanft lächelnd blickte er wieder zu seinem Geliebten. Koji nahm Izumis Hand und hauchte einen weichen Kuss auf die Finger.

„Ich werde niemals aufhören dich zu lieben! Niemals, so lange ich lebe und darüber hinaus.“

„Komm her, Koji.“ Izumi streckte seine andere Hand aus und strich zärtlich über Kojis glühende Wange. „Komm näher. Ich will spüren, dass du wirklich hier bei mir bist.“

Kojis Augen leuchteten auf. Vorsichtig beugte er sich vor. Kurz vor Izumis Gesicht hielt er noch einmal inne. Nur noch einen Hauch waren ihre Lippen voneinander entfernt. Der warme Atem und unverwechselbare Geruch seines Geliebten, schenkte Koji den Beweis, dass dies hier kein Traum war. Izumis kühle Finger streichelten seidig über Kojis Wange und führten ihn schließlich näher, um den letzten Abstand zwischen ihnen zu schließen. Koji schloss seine Augen und spürte wie Izumi seine samtigen Lippen auf die seinen presste.

„Ich liebe dich so sehr, Takuto.“ flüsterte Koji zärtlich in ihren sanften Kuss und sah direkt in die wunderschönen Augen Izumis. „Ich werde alles tun, um auch die kleinste Chance für uns zu nutzen.

„Koji...“ begann Izumi leise und ließ seine Finger durch Kojis kurzes Haar gleiten. „Ich will dir so gerne vertrauen, aber...“ Die Worte fielen ihm sichtlich schwer. Schwer ließ er seinen Kopf zurück in sein Kissen fallen und wich Kojis Blick aus. „Ich hab Angst. Ich fürchte mich davor, dass alles von vorne beginnt. Dass uns ständig die gleichen Fehler zerstören werden.“

„Nein, daran darfst du nicht denken. Bitte lass es uns versuchen. Ich schwöre dir, dass ich immer für dich da sein werde, alles tun werde, damit du mir eines Tages vielleicht doch vertrauen kannst.“ versprach Koji.

„Ich...ich weiß nicht ob ich das jemals kann. Ob ich es überhaupt kann.“

 Koji nickte verstehend.

„Nicht mal jetzt, wo du es so ehrlich meinst, kann ich dir glauben. Deine Versprechen, deine Schwüre....’Immer für mich da sein...’ weißt du, was das bedeutet? Ich werde möglicherweise für immer an den Rollstuhl gefesselt sein. Wäre dir in vielen Situationen einfach nur eine Last. Ein leichtes Leben, das wäre mit Sicherheit nicht drin. Du magst mich jetzt in dem Augenblick lieben, kannst dir ein Leben ohne mich nicht vorstellen – aber wie sieht es in 5 Jahren aus? In 10? In 20?“

„Ich will alles in Kauf nehmen, egal wie hart es vielleicht wird. Für dich ist es noch viel härter. Was du verloren hast kann ich dir weder wiederbringen noch ersetzen. Aber ich will dir zur Seite stehen und dich mit aller Kraft lieben. Das ist alles was ich tun kann.“ In Kojis Worten lag soviel Ehrlichkeit, seine Augen erfüllt von einem stummen Flehen, für das es keinen Ausdruck gab.

„Noch hab ich nicht alles verloren. Auch wenn du es mich für die Zeit glauben ließt, in der du mich verlassen hattest.“ Izumi sah seinen Geliebten zärtlich an und umschlang seine Hand.

„Koji...ich will dich nicht noch einmal verlieren indem ich dich aus meinem Leben ausschließe und dir meine Gefühle für dich verheimliche. Mir ist schon so lange Zeit etwas Wichtiges bewusst geworden. Auch wenn ich einen Teil meines Glücks verloren habe, ist da noch etwas, was mich spüren lässt, dass ich lebe. Etwas, das ich mehr als alles andere brauche. Und liebe.....Das bist du, Koji.“

Kojis war wie erstarrt. Izumis Blick und die Ehrlichkeit in seinen Worten versetzte seinem Herzen einen tiefen Stich. Schweigend lehnte sich vor und ließ seinen Kopf auf Izumis Brust senken, schloss seine Augen und sog jedes kleinste Detail dieses Augenblicks in sich auf.

„Takuto...das...ich...“ stammelte der Blonde. „Takuto...“

Izumi streichelte Koji sanft über den Kopf. Seine Hand bebte leicht von der nachlassenden Spannung und der Erleichterung, dieses so lange zurückgehaltene Geständnis endlich über die Lippen gebracht zu haben.

„Takuto, ich liebe dich so sehr! Wenn ich daran denke, wie sehr ich dich verletzt habe, dass ich dich beinahe für immer verloren hätte...“

„Schhhh...sag nichts mehr. Lass uns nur noch an das denken, was vor uns liegt. An die neue Chance, die wir noch bekommen haben.“ flüsterte Izumi weich. „Ich will an nichts mehr denken. Und wenn du bei mir bist, schaff ich das auch. Wir werden es gemeinsam schaffen, Koji!“

„Ja. Egal was noch auf uns zukommt!“ bestätigte Koji und hob seinen Kopf um seinem Geliebten tief in die Augen zu blicken.

„Es wird sicherlich nicht leicht.“ sprach Izumi ruhig weiter und erwiderte Kojis Blick. „Aber ich werde kämpfen. Diesmal für ein Ziel, dass noch zu greifen ist.“

 

 

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Wo ist dieser verdammte BASTARD??!!!“

Katsumis schrille und hasserfüllte Stimme riss Koji aus dem Schlaf. Augenblicklich fuhr der blonde Sänger von der kleinen Couch hoch und starrte wie ein aufgescheuchtes Tier Katsumi an, der zornig Dr. Hina zur Seite drängte und auf Koji zustürzte.

„Hier hast du dich also verkrochen, du feiger Mörder.“ zischte Shibuya.

Koji spürte, wie ihm heiße Tränen der Verzweiflung über die bebenden Wangen liefen und das erdrückende Gefühl in seinem Magen ihn erstarren ließ.


 

 

 

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