DAS ENDE von Finn

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TEIL 1

Kein Klopfen, keine Frage um Erlaubnis. Statt dessen wurde die Tür des Büros aufgerissen und ein wunderschöner, riesiger Mann mit langen, silbernen Haaren, trat ein. Besagte Haare wurden mit Schwung über die Schulter zurückgeworfen , dann schloß der Mann die Tür und meinte: „Ich nehme an, Sie sind Dr. Shiwaga. Wir haben gestern miteinander telefoniert.“

„Ah, Nanjo-san, richtig?“ Dr. Yuri Shiwaga musterte ihr Gegenüber eingehend.

Arrogant und kalt war ihr erster Eindruck. Für den Zweiten würde sie sich Zeit nehmen.

„Ja, wir haben gestern miteinander telefoniert. Es wundert mich, das Sie schon heute hier sind.“

Lässig nahm Koji ihr gegenüber Platz und schlug die Beine übereinander.

„So? Und warum, wenn man fragen darf?“

Ein leichtes Grinsen kräuselte die Lippen der Ärztin. „Nun ja, Ihr Freund und Mitbewohner Izumi-san ist schon seit über einer Woche hier, und bis jetzt hatten Sie noch keine Zeit, Ihn zu besuchen. Mich hingegen suchen Sie schon am nächsten Tag auf. Da stellt sich mir doch die Frage: Konnten Sie nicht? Oder Wollten Sie nicht?!“

Falls überhaupt möglich, wurde Kojis Gesicht noch kälter. Es passierte ihm nicht oft, das ihm jemand mit der gleichen Gleichgültigkeit und Verachtung begegnete, die er sein Eigen nannte.

„Was wollen Sie von mir? Sie sagten, Sie müssten mit mir wegen Izumi reden. Also, hier bin ich!“

Jetzt lehnte sich auch Dr. Shiwaga zurück. „Tja, wissen Sie, ich mache mir Sorgen um Izumi-san. Der Physiotherapeut, der täglich mit ihm arbeitet, ist mit seinem Latein am Ende. Izumi-san weigert sich, seine passive Haltung aufzugeben. Er glaubt selbst nicht an seine Heilung und ohne seine Mithilfe, kämpfen wir hier auf verlorenem Posten.

Auch seine Psyche ist extrem instabil. Er leidet an plötzlichen Wutanfällen, oder liegt stundenlang apathisch in seinem Bett. Das ist auch der Grund, wieso ein Psychologe hinzugezogen wurde, nämlich Ich. Durch meine Gespräche mit Izumi-san habe ich herausgefunden, das Sie ein ziemlich wichtiger Faktor in Izumi-sans Leben waren, bevor dieser Unfall passierte.

Sie waren sein Mitbewohner, sein Freund, und – wie ich vermute – sein Geliebter.“ Als an dieser Stelle kein Einspruch erhoben wurde, fuhr sie fort: „Und jetzt stellt sich mir die Frage: Wieso haben Sie sich von ihm abgewandt. Ekeln Sie sich vor einem Krüppel?“

Bei den letzte Worten der Ärztin war Koji aufgesprungen. „Reden Sie nie wieder so über Izumi“, donnerte er.

Wenn Blicke töten könnten, würde sie jetzt zehn Meter unter der Erde liegen, da war sich Yuri sicher. Aber der zweite Eindruck fiel ganz entschieden zu Kojis Gunsten aus. Dieser Ausbruch hatte ihr alles gesagt, was sie wissen musste.

„Bitte, Nanjo-san. Nehmen Sie wieder Platz.“

Unschlüssig blickte Koji sie an. Hin- und hergerissen, zwischen dem Wunsch, hinauszustürmen und noch mehr über Izumi zu erfahren, fuhr er sich nervös durch die langen Haare. Schließlich setzte er sich wieder.

„Tja, Nanjo-san, wenn das nicht der Grund ist, was dann? Wie konnten Sie Izumi-san ihn solch schweren Zeit einfach alleine lassen?! Ich verstehe das einfach nicht, den offensichtlich bedeutet Ihnen Izumi-san sehr viel.“

Als die silbernen Haare wieder vorflogen, wurden sie nicht zurückgestrichen. Statt dessen wurden sie als Vorhang benutzt.

„Er bedeutet mir nicht viel. Er bedeutet mir alles. Nichts außer Izumi war jemals wichtig. Nichts außer Izumi wird jemals wichtig sein.“

Yuris Selbstbeherrschung ging den Bach hinunter. Aufgebracht raufte sie sich mit beiden Händen die Haare. „Aber dann verstehe ich es noch weniger. Wie konnte es dann soweit kommen, das sie ihren Geliebten nicht am Krankenbett besuchen?“ rief sie.

„Das wollen sie wirklich wissen? Die Geschichte ist nicht besonders romantisch, glauben Sie mir.“

Langsam beugte sich Yuri vor und sah Koji fest in die Augen. „Kami-sama. Die Geschichte soll auch nicht romantisch sein. Die Geschichte soll mir helfen, einen Weg zu finden, Izumi-san zu helfen. Also erzählen Sie, verdammt noch mal. Aus Ihrem Freund habe ich nämlich so gut wie kein Wort herausbekommen.“

Ein trauriges Lächeln zog über Kojis Gesicht. Ja, das klang ganz eindeutig nach Izumi. Stur bis zum Ende, und nur der Sturheit wegen.

„Tja, dann hören Sie mal gut zu, Dr. Shiwaga. So was hört man nicht alle Tage.“

 

Und dann fing Koji an zu erzählen.

Stunde um Stunde, ohne Unterbrechung. Er erzählte, wie er Izumi das Erste mal gesehen hatte, wie er ihn über Jahre gesucht hatte, ohne Hoffnung auf Erfolg. Und dann, wie er ihn gefunden hatte. Von den unsagbar vielen Hindernissen, die sie zu überqueren gehabt hatten, von der glücklichen Zeit, in der alles gut zu werden schien. Und dann der folgenschwere Autounfall. Izumi niedergefahren von Akihito. Kojis Bruder.

 

„Wissen Sie Doktor, nicht viele Menschen wußten von unserer Beziehung, aber es hat immer geheißen, es wäre eine der schönsten Liebesgeschichten unserer Zeit.“ Ein zynischer Lacher entkam Kojis Lippen. „und was ist es statt dessen geworden? Eine von Blut und Tränen getränkte Farce.“

Yuri hatte dem gutaussehenden Sänger drei Stunden zugehört. Hatte die verzerrten Gesichtszüge gesehen, die immer wieder den Platz der kalten Maske eingenommen hatten.

Und sie hatte den Schmerz gesehen. „Sie machen sich selbst dafür verantwortlich!“ erkannte sie. „Das ist der Grund, wieso Sie ihn nicht besuchen kommen.“

„JA!“ schrie Koji. „Ja, das ist der Grund. Es war mein Bruder, der ihn vergewaltigt hat. Es war mein Bruder, der ihn angefahren hat, der ihm die Fähigkeit zu gehen genommen hat. Und was das Schlimmste dabei ist, ich wollte es!“

Kristallklare Tränen rannen Kojis Wangen hinab. Verwirrt blickte Yuri Shiwaga ihm ins Gesicht.

„Ich verstehe nicht ganz. Was wollten sie?“

Mittlerweile schluchzte Koji laut. „Ich wollte, das er nicht mehr gehen, nicht mehr laufen konnte. Ich hatte es so satt, immer an zweiter Stell zu stehen. Immer mußte ich ihn mit seinem geliebten Fußball teilen, und ich wusste, sollte jemals eine Entscheidung nötig sein, würde er nicht mich wählen. Verstehen sie? Ich hätte das Auto genau so gut selbst fahren können.

Aber jetzt, wo es passiert ist.... es war so selbstsüchtig. Izumi kann ohne Fußball nicht leben. Ich liebe ihn, ich hätte es akzeptieren müssen, aber....aber ich konnte es einfach nicht! Ich war eifersüchtig auf einen verdammten Ball, einen Sport!

Wie kann ich ihm jetzt in die Augen blicken, wenn alles was mich erwarten wird, Hass ist? Das ganze ist meine Schuld, und das einzige, was ich jetzt noch tun kann, um das wieder halbwegs gutzumachen, ist ihn endlich allein zulassen! Ihn nicht noch mehr zu verletzen!“

 

Obwohl Yuri sich vorgenommen hatte, keine größeren Gefühle zuzeigen, konnte sie nicht einfach sitzen bleiben, als sie das Häufchen Elend vor sich auf dem Sessel sah.

Sie stand auf, ging um den Tisch und kniete sich vor Koji nieder, fuhr ihm durch die Haare.

„Schhhh, ganz ruhig. Ganz ruhig.

Eifersucht ist eine Schwäche, die jeder Mensch hat. Egal wie sehr wir versuchen sie zu unterdrücken, es gelingt uns nicht. Und obwohl sie so sehr als Übel gewertet wird, bewahrt sie uns doch davor, Dingen gegenüber gleichgültig zu werden.

Sie wollten vielleicht, das Izumi-san Sie dem Fußball vorziehen würde, aber Sie hätten nie zu so drastischen Maßnahmen gegriffen. Sie haben nicht den Wagen gelenkt, Sie waren nicht verantwortlich. Das ist das einzige, was zählt.“

Dann strich sie Koji die Haare aus dem Gesicht und blickte ihm fest in die Augen. „Sie wollen Izumi-san nicht noch mehr verletzten? Dann lassen Sie ihn nicht länger warten. Egal was er Ihnen sagt, er liebt Sie. Lassen Sie ihn nicht allein. Er steht an einem Abgrund, an dem ich ihn nicht erreichen kann. Sie sind der einzige, der das kann. Und wenn Sie noch länger warten, dann ist es zu spät.“

Der Blickkontakt hielt noch einige Minuten, dann schniefte Koji und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und fragte kleinlaut: „Welche Zimmernummer hat er?“

 

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TEIL 2

Koji mußte ein paar Mal tief Luft holen, bevor er die Kraft fand, die Tür langsam zu öffnen.

Als er es dann geschafft hatte, brach ihm der Anblick, der sich ihm bot, fast das Herz.

Izumi wirkte klein, fast winzig in dem Krankenhausbett. Seine Haut wirkte blass, nicht leuchtend wie sonst. Und das Gesicht.... das Gesicht war das schlimmste. Hager, eingefallen, und vollkommen ausdruckslos, war es zur Seite gedreht, dem Fenster zugewandt.

Auch als die Tür geschlossen wurde, zeigte es keine Regung. Izumi mußte sich gerade in einem seiner apathischen Zustände befinden, wie Dr. Shiwaga sie genannt hatte.

Leise ging Koji durch den Raum und nahm sich einen Stuhl. Mit diesem setzte er sich dann direkt in Izumis Blickrichtung.

Als sich der Blick seines Freundes dann auf ihn fokussierte, flogen plötzlich die verschiedensten Emotionen über Izumis Gesicht. Erst Erstaunen, dann Unglauben, gefolgt von Freude, die in Frucht und Schock endete. Doch kein Hass war zu sehen. Und kein Hass war zu hören, als Izumi keuchte: „Geh weg. Verschwinde. Bitte verschwinde, Koji!“

Zum Ende hin hatte sich Hysterie in die Stimme geschlichen, doch immer noch kein Hass.

Umso mehr war Koji von dem Sinn der Worte erstaunt.

„Wieso? Sag mir bitte wieso, Izumi.“

Kojis Augen waren von Furcht erfüllt.

„Ich will nicht, das Du mich so sieht. Ich bin so schwach. Ich bin ein Pflegefall, ein Krüppel!“

Die Worte der Ärztin hatte er noch hinuntergeschluckt, doch die Selben aus Izumis Mund zuhören, löste einen Aussetzer bei Koji aus.

Seine Hand sauste vor, und klatsche in Izumis Gesicht. „Sag das nie wieder!!!!“ donnerte er. „Du bist kein Krüppel!“

Diesmal liefen Izumi die Tränen hinab, über die leuchtend rote Wange, auf der sich der Handabdruck Kojis bildete. „Aber was bin ich dann, Koji? Was bin ich dann?“

Langsam beugte Koji sich vor, bis sich ihre Nasen trafen. „Du bist Takuto Izumi. Der Mann, den ich liebe. Den ich mehr liebe, als alles andere.“

„Aber wie kannst Du mich lieben?“ schluchzte Izumi. „Du hast immer gesagt, wie sehr Du meine Beine liebst, doch jetzt sind diese Beine nutzlos. Ich würde Dir nur noch zu Last fallen. Und Sex haben kann ich auch nicht mehr richtig. Und dabei liebst Du doch am meisten meinem Körper. Und jetzt.... Du musst doch verabscheuen, was Du siehst!“

Wie mit der Peitsche geschlagen fuhr Koji zurück. Hatte er dieses Gefühl wirklich Izumi übermittelt? Das er ihn zu einem großen Teil nur seines Körpers wegen liebte? Das er Izumi abstoßend fand?

„Izumi.... Koi..... wie kommst du darauf? Es ist nicht wahr!“

„Aber....aber Du bist nicht gekommen. Du bist die ganze Zeit, seit ich hier bin, nicht einmal gekommen.“

Dr. Shiwaga hatte recht gehabt, erkannte Koji plötzlich. Er hatte Izumi durch sein Fernbleiben noch mehr verletzt.

„Izumi, denkst Du wirklich, ich würde Dich deswegen verlassen? Nur weil Du nicht mehr gehen kannst? Weil Du dich nicht mehr für schön hältst? Weil wir vielleicht keinen richtigen Sex mehr haben können?

Izumi, das spielt für mich doch keine Rolle. Ich liebe dich. Nichts kann das ändern. Ich liebe nicht Deine Beine, obwohl sie schön sind. Ich liebe nicht den Sex, obwohl er gut ist. Ich liebe Dich. Das, was Du bist. Das, was auch ohne Deine Beine, ohne Sex da ist. Und nichts, wirklich gar nichts, kann das jemals ändern.“

„Aber wieso bist du dann nicht gekommen? Wieso hast du mich solange allein gelassen?“

Nun war es an Koji, aus dem Fenster zuschauen.

„Ich dachte, Du würdest mich Hassen. Ich konnte Dir einfach nicht unter die Augen treten!“

„Koji? Wieso? Wieso sollte ich dich Hassen?“

Koji fühlte sich so unsagbar müde. Er hatte nicht mehr die Kraft, Izumi in die Augen zublicken. „Akihito ist mein Bruder.“

In diesem Satz lag so vieles, was nicht ausgesprochen wurde, und was doch von Izumi verstanden wurde.

Langsam streckte er die Arme aus und zog Koji zu sich aufs Bett, an seine Brust.

„Du...Trottel. Als ob ich dich jemals dafür Hassen würde. Ich liebe dich.“

 

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TEIL 3

Koji saß im Rollstuhl, Izumi auf seinem Schoß, und beide blickte Dr. Yuri Shiwaga ernst an.

„Und es gibt wirklich Chancen auf Heilung?“ fragte Izumi.

Yuri nickte. „Ja, gibt es. In Ihrem Fall, Izumi-san, sind die Nerven des Rückenmarks nicht durchtrennt worden, sondern nur gequetscht. Er besteht eine Chance auf Regenerierung der Nerven, auch wenn diese ziemlich klein ist. Es kann unter Umständen Jahre dauern, bis das passiert. Wichtig für ihre Rehabilitation ist aber, das sie täglich die Übungen durchführen, die Ihnen der Physiotherapeut gezeigt hat.

„Oh, das ist kein Problem, Frau Doktor. Dafür werde ich schon sorgen.“ grinste Koji. „Und ich kann ihn wirklich mit nach Hause nehmen?“

Zufrieden betrachtete Yuri die glücksstrahlenden Gesichter vor sich. „Wenn Sie sich an alles halten, was ich Ihnen gesagt habe, steht dem nichts im Wege.“

 

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TEIL 4

„Ach komm schon Izumi. Wieso nicht?“

Bettelnd blickte Koji seinen Geliebten an.

„Koji, das würde unnötig viel Aufsehen erregen.“

„Aber wir sind das bekannteste Homosexuellenpaar Japans. Und eines der wenigen tolerierten. Wir würden damit vielen anderen Homosexuellen helfen.“

Abwehrend rollte Izumi seinen Rollstuhl zurück, ohne Erfolg, Koji folgte ihm.

„Koji, das ist egal. Ich weigere mich in Europa an dieser Loveparade teilzunehmen. Und geh von meinem Fuß runter, das tut weh!“

Sofort trat Koji zurück. „Oh, Entschuldigung, ich wollte nicht...“

Dann brach er ab, und die beiden blickten sich an.

Das Freudengeschrei, das darauf folgte, war im ganzen Haus zu hören.

 

EPILOG

Aufgeregt hüpfte Koji auf und ab. Es war ihm egal, das dabei die Baseballmütze, die zu seiner Verkleidung gehörte, herunterrutsche, und seine silbernen Haare freigab. Und dann, als ein großes Geschrei losbrach, schüttelte er den Mann neben sich und schrie: „Haben sie gesehen? Der Kapitän der da gerade das Tor geschossen hat, das ist mein Lebensgefährte!“

Und dann lauter: „Los Izumi! Schieß noch eins!“

 

 

~owari~

 

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